Forschungsprojekt "Solidarische Möbel von Margarete Schütte-Lihotzky"

Auf dem ehemaligen Industriegelände der Glanzstoff Fabrik in St. Pölten wurde 1954 eine Fabrikatenvilla zum "Kinderhaus" umgenutzt und war bis in die 1990er Jahre als einer der schönsten Kindergärten Österreichs in Betrieb. Er ist bis heute legendär, weil die österreichische Architektin und Widerstandskämpferin Margarete Schütte-Lihotzky das „Kinderhaus“ mit all ihrem Spezialwissen zu sozialer Architektur für Kinder umgebaut und eingerichtet hatte.

Initiiert von der New Design University St. Pölten (NDU) steht das „Kinderhaus“  nun im Zentrum: in Kooperation mit dem KinderKunstLabor entsteht ein gemeinsames Forschungsprojekts. Als Forschungseinrichtung in den Bereichen Design, Technik und Wirtschaft bildet die NDU Gestalter:innen aus – die den gesellschaftlichen Wandel vorantreiben, indem sie sich mit zukünftigen Entwicklungen kritisch auseinandersetzen.

Untersucht wird die Konzeption einer idealen Raumatmosphäre für Kinder in Auseinandersetzung mit den historischen Impulsen des „Kinderhauses“. Mit welchen Möbeln fühlen sich Kinder wohl? Welche Materialien, Farben, Formen und Proportionen sind für welche Altersstufe ansprechend? Wie kann ästhetischer Anspruch im Sozialen wirken? Diese Fragen stellen sich für das „Kinderhaus“ und für das KinderKunstlabor – früher wie heute.

Zu Ausstattung des Kinderhauses gehörte auch eine Reihe speziell dafür entworfener Möbel. So war in der 2021 von Christine Zwingl kuratierten Ausstellung „Margarete Schütte-Lihotzky Bauten für Kinder“ eine bemaßte Entwurfszeichnung des „Armsessels für Gruppe und Krippe“ zu sehen. Daraufhin entstand die Idee, diesen Sessel, dessen Form und Ausführung noch immer zeitgerecht erscheint, zu rekonstruieren. Die gesteckten und gedrechselten Buchenholzstäbe sollten laut Plan „farbig lackiert“ ausgeführt werden. Aus der einzig uns bekannten Zeichnung Schütte-Lihotzkys läßt sich die genaue Farbgebung ebenso wenig ablesen, wie aus den existierenden Schwarzweiß-Fotografien. Die Bespannung der Sitz- und Lehnfläche war in einem Geflecht von handelsüblichen Polstergurten ausgeführt. 

In einer ersten Phase des Forschungsprojekts untersucht die New Design University durch den Nachbau des Armsessels mit Kinderbeiratsgruppen des KinderKunstLabors eine heute zeitgemäße Farbfassung und den Sitzkomfort des Armsessels. Im Fokus steht dabei die Begegnung mit dem Werk und der Person Margarete Schütte-Lihotzky, der Geschichte des „Kinderhauses“ und deren aktuelle Betrachtung im Kontext der Themen von Widerstand und Solidarität.

Vom „Kinderhaus“ zum KinderKunstLabor

Nur Wenigen ist bekannt, dass auf dem ehemaligen Industriegelände der Glanzstoff Fabrik in St. Pölten in der sowjetischen Besatzungszeit eine Fabrikantenvilla Kindern ihre Tore öffnete. Sie folgten dabei dem Grundsatz der gerechten Umverteilung von Reichtum an Kinder, da diese die Zukunft einer neuen Gesellschaft bedeuten. 

Die 1953 zum „Kinderhaus“ umgenutzte ehemalige Villa war bis in die 1990er Jahre als einer der schönsten Kindergärten Österreichs in Betrieb und ist bis heute legendär, weil die österreichische Architektin und Widerstandskämpferin Margarete Schütte-Lihotzky das „Kinderhaus“ mit all ihrem Spezialwissen zu sozialer Architektur für Kinder umgebaut und eingerichtet hatte. Die beeindruckende Villa wird nach einem Eigentümerwechsel und Umbau seit 1997 auch weiterhin für entscheidende soziale Aufgaben genützt: Die Islamische Föderation St. Pölten - Islamischer Kultur- und Wohltätigkeitsverein hat heute hier ihren Sitz und fördert u. a. vor allem nachbarschaftliche Begegnungen sowie Kultur und Religion.

Erfreulicherweise kann St. Pölten nun gespannt auf ein neues Projekt blicken, in dem Kinder im Zentrum stehen. Mit dem KinderKunstLabor eröffnet in St. Pölten im Jahr 2024 ein neues Ausstellungshaus für zeitgenössische Kunst: In Zeiten radikaler Umbrüche verändern sich die Anliegen und Bedürfnisse der Kinder. Das KinderKunstLabor öffnet diesen Prozessen einen künstlerischen Raum, den es in seiner spezifischen Ausprägung sonst nicht gibt. Im direkten Dialog mit Künstler:innen und dem Kunstfeld setzen sich Kinder hier kritisch mit Themen und Programmen der Institution auseinander. Sie besuchen das neue Ausstellungshaus im Altoona-Park also nicht nur, sie gestalten es auch als inspirierenden Raum zum Spielen, für Begegnungen und Veranstaltungen selbst mit. Ihre Perspektiven bilden Grundlage des generationsübergreifenden Kunstvermittlungsansatzes: experimentell, institutions- und spartenübergreifend. 

Raum für Kinder: Gute Räume – gute Bildung!

Kinder sind besonders sensibel für Ambiguitäten von Raum und Gegenständen, indem sie diese umfunktionieren, ihnen neue Bedeutungen zuweisen, neue Verbindungen schaffen. Kinder eignen sich die Welt kreativ lernend an. 

Initiiert von der New Design University St. Pölten (NDU) steht das „Kinderhaus“ daher nun im Zentrum, in Kooperation mit dem KinderKunstLabor entsteht ein gemeinsames Forschungsprojekts. Als Forschungseinrichtung in den Bereichen Design, Technik und Wirtschaft bildet die NDU Gestalter:innen aus – die den gesellschaftlichen Wandel vorantreiben, indem sie sich mit zukünftigen Entwicklungen kritisch auseinandersetzen.

Untersucht wird die Konzeption einer idealen Raumatmosphäre für Kinder in Auseinandersetzung mit den historischen Impulsen des „Kinderhauses“. Mit welchen Möbeln fühlen sich Kinder wohl? Welche Materialien, Farben, Formen und Proportionen sind für welche Altersstufe ansprechend? Wie kann ästhetischer Anspruch im Sozialen wirken? Diese Fragen stellen sich für das „Kinderhaus“ und für das KinderKunstlabor – früher wie heute. 

Umbrüche und Widersprüche: zwischen Trauma und Utopie

Im zweiten Weltkrieg wurde die Industriestadt St.Pölten durch Luftangriffe stark zerstört. Die Befreiung am Kriegsende durch die Rote Armee am 15. April 1945 ging jedoch einher mit traumatisierenden Massenvergewaltigungen. Gleichzeitig entwickelten die sowjetischen Besatzer organisiert durch die USIA (Verwaltung des sowjetischen Eigentums in Österreich) für die Industriebetriebe Voith und Glanzstoff einzigartige Einrichtungen für Kinder in hervorragender architektonischer Qualität. Ihre fortschrittliche Einstellung zur Gleichberechtigung der Frauen im Arbeitsleben zeigte sich dabei auch darin, dass nicht nur ein normaler Kindergartenbetrieb, sondern auch die Betreuung von Kindern im Vorkindergartenalter vorgesehen war. Denn die Mehrzahl der damals ungefähr 1.400 Beschäftigten der Glanzstoff-Fabrik waren Frauen. Insgesamt wurde das „Kinderhaus“ für 80 bis 100 Kinder konzipiert. Die Ein-, bis Zweijährigen besuchten die Krabbelstube und die Drei-, bis Sechsjährigen die Kindergartengruppe, beide im Erdgeschoß der Villa. Die Sechs-, bis Vierzehnjährigen wurden im Hort betreut, der über einen eigenen Eingang erschlossen im Obergeschoss lag.

Eines der wenigen Zeugnisse aus den ersten zwei Jahren des Betriebes des „Kinderhauses“ ist ein Fotoalbum des Fotografen Walter Weber. Er war auch an der Entwicklung und dem Aufbau des „Kinderhauses“ als Erzieher beteiligt . Das Fotoalbum wurde der damaligen Leiterin des „Kinderhauses“, Marie Kupferschmied, zum Abschied überreicht: Sie wurde „bis auf weiteres beurlaubt“, nachdem die sowjetischen Truppen im August 1955 aus der Stadt abzogen.  Nach einem Jahr als Textilarbeiterin in der Glanzstoff-Fabrik ließ sie sich umschulen. 

Soziale Architektur: die Pionierin im männlichen Umfeld

Die Architektin Margarete Schütte-Lihotzky, 1897 in Wien geboren, hat von 1915-18 an der Kunstgewerbeschule in Wien studiert und war eine der ersten Frauen, die auch nach Ihrem Studium erfolgreich als Architektin gearbeitet hat. Sie war „in einem Männerumfeld tätig, in dem ein fortschrittliches Klima herrschte“, schreibt die Architektin Christine Zwingl. Als einzige Frau unter lauter Männern war sie notwendigerweise auf männliche Unterstützung angewiesen, wollte sie in ihrem Beruf zu Aufträgen kommen. Ihre Arbeitsweise zeichnete sich insbesondere dadurch aus, dass sie Erkenntnisse von Expert:innen in ihre detaillierten Planungen einbezog um das bestmögliche Ergebnis für die Nutzer:innen zu erzielen. Sie war der Überzeugung, dass „…wir Baufachleute nur dann durch unsere Arbeit zu besseren, gesünderen und glücklicheren Leben der Menschen wesentlich beitragen können, wenn auch die gesellschaftlichen Probleme gelöst werden.“ wie sie in einem Interview Anfang der 70er Jahre sagte. 

Daher trat Margarete Schütte-Lihotzky 1939 der illegalen Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) bei. Sie reiste 1940 von ihrem damaligen Wohnort Istanbul zurück nach Wien, um aktiv im österreichischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus mitzuarbeiten. Nach nur wenigen Monaten wurde sie von der Gestapo verhaftet und zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, sie war bis nach Kriegsende in Bayern inhaftiert. Körperlich geschwächt war ihre Motivation nach ihrer Befreiung dennoch ungebrochen, durch ihre Arbeit als Architektin die räumlichen Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern.

Als sie im Jahr 1947 zurück nach Wien kam, wollte sie sich mit ihrer internationalen Erfahrung und ihren Spezialkenntnissen im Bauen für Kinder am Wiederaufbau beteiligen. Als Kommunistin war sie von der Sozialdemokratischen Partei Wien mit einem inoffiziellen Auftragsverbot belegt. Obwohl sie zu diesem Zeitpunkt eine international anerkannte Architektin war, erhielt sie im Gegensatz zu Kollegen, die den Nationalsozialismus aktiv unterstützt hatten, in den kommenden Jahrzehnten nahezu keine öffentlichen Bauaufträge. Ein zentraler Faktor war hier zweifellos der virulente Antikommunismus in der Republik Österreich. 

Umbau zum Kinderhaus

Architektonisch erwies sich die großzügige Raumaufteilung der Villa als gut geeignet für diesen Umbau. Die typische Halle wurde zum zentralen Verteiler, in dem auch auf beiden Geschossen die Garderoben der Kinder untergebracht werden konnten. Die Zentralhalle war eine von Margarete Schütte Lihotzkys Entwurfsprinzipien in ihrer später verfassten Entwurfslehre für Kindergärten und Kindergrippen. Direkt gegenüber dem Eingang lag der Spielraum für die Krabbelgruppe. Diese hatte Zugang zu der im Süden vorgelagerten Terrasse und war östlich auch noch mit einer verglasten Veranda verbunden. Die Kindergartengruppe war im Westen des Hauses – links von der zentralen Halle angeordnet und zeichnete sich durch eine an den großen Spielraum anschließende Ruhe- und Waschnische aus. Margarete Schütte-Lihotzky schrieb dazu, „Jedes Spielzimmer soll eine gemütliche Ecke oder Nische haben, was die Kinder sehr lieben (…) Die Nische muß aber durch eine breite Öffnung mit dem Spielzimmer verbunden sein. Damit die Pädagogin alles gut überblicken kann (…) Auch der Waschraum soll als offene Nische am Spielzimmer ausgebildet sein, damit das Waschen von vorneherein in das allgemeine Leben der Kinder einbezogen ist.“ 

Zu Ausstattung des Kinderhauses gehörte auch eine Reihe speziell dafür entworfener Möbel. So war in der 2021 von Christine Zwingl kuratierten Ausstellung „Margarete Schütte-Lihotzky Bauten für Kinder“ eine bemaßte Entwurfszeichnung des „Armsessels für Gruppe und Krippe“ zu sehen. Daraufhin entstand die Idee, diesen Sessel, dessen Form und Ausführung noch immer zeitgerecht erscheint, zu rekonstruieren. Die gesteckten und gedrechselten Buchenholzstäbe sollten laut Plan „farbig lackiert“ ausgeführt werden. Aus der einzig uns bekannten Zeichnung Schütte-Lihotzkys läßt sich die genaue Farbgebung ebenso wenig ablesen, wie aus den existierenden Schwarzweiß-Fotografien. Die Bespannung der Sitz- und Lehnfläche war in einem Geflecht von handelsüblichen Polstergurten ausgeführt. 

In einer ersten Phase des Forschungsprojekts untersucht die New Design University durch den Nachbau des Armsessels mit Kinderbeiratsgruppen des KinderKunstLabors eine heute zeitgemäße Farbfassung und den Sitzkomfort des Armsessels. Im Fokus steht dabei die Begegnung mit dem Werk und der Person Margarete Schütte-Lihotzky, der Geschichte des „Kinderhauses“ und deren aktuelle Betrachtung im Kontext der Themen von Widerstand und Solidarität.

Aufruf Zeitzeug:innen

Vor dem Hintergrund aktueller politischer Entwicklungen sind Zeitzeug:innen und deren Erfahrungen eine unersetzliche Quelle für die politische Bildung. Wer riskiert heute noch Leib und Leben für den Widerstand? Wer zeigt sich solidarisch und verlässt damit Komfort- oder Sicherheitszonen?

Auf einer im September 1953 von Margarete Schütte-Lihotzky verfassten Farbliste, die im Zuge der Umbauplanung an die Glanzstoffabrik adressiert wurde, wird die Firma Holzmann für die Verlegung eines roten Linoleumbodens im OG und die Möbelfabrik Schwadorf für die Belegung eines weißen Linoleums auf den Tischen und Bänkchen genannt. Leider ist über den Verbleib der Möbel seit der Schließung des Kinderhauses (1990) und dem Eigentümerwechsel nichts weiter bekannt. 

Für Hinweise jeglicher Art, etwa auch von Zeitzeug:innen, die als Kinder damals das Kinderhaus besucht haben, wären wir sehr dankbar.

Die Autorinnen

Christine Schwaiger ist Professorin an der New Design University in St.Pölten und leitet den Masterstudiengang Innenarchitektur & visuelle Kommunikation. In ihrem eigenen Büro mit Sitz in Wien praktiziert sie als Architektin, seit 2014 als staatlich befugte und beeidete Ziviltechnikerin. Zu ihren AuftraggeberInnen gehören unter anderem das Museum Niederösterreich, das kunstforum Wien und das Museum für angewandte Kunst Wien.

Mona Marijke Jas ist Künstlerin, Wissenschaftlerin und Hochschullehrende. Sie forscht im Bereich Kuratieren und Vermitteln zeitgenössischer Kunst. An der weissensee kunsthochschule berlin vertritt sie mit einer Honorarprofessur den Bereich Kulturelle Bildung. Bis 2021 leitete sie das Forschungsprojekt Künstlerische Interventionen in der Kulturellen Bildung am Institut für Kulturpolitik der Uni Hildesheim und vertrat dort die Professur für Kulturelle Bildung. Seit 2021 ist Mona Jas künstlerische Leiterin des KinderKunstLabors, das 2024 in St. Pölten eröffnet.

Aufruf Zeitzeug:innen

Auf einer im September 1953 von Margarete Schütte-Lihotzky verfassten Farbliste, die im Zuge der Umbauplanung an die Glanzstoffabrik adressiert wurde, wird die Firma Holzmann für die Verlegung eines roten Linoleumbodens im OG und die Möbelfabrik Schwadorf für die Belegung eines weißen Linoleums auf den Tischen und Bänkchen genannt. Leider ist über den Verbleib der Möbel seit der Schließung des Kinderhauses (1990) und dem Eigentümerwechsel nichts weiter bekannt. 

Für Hinweise jeglicher Art, etwa auch von Zeitzeug:innen, die als Kinder damals das Kinderhaus besucht haben, wären wir sehr dankbar. Kontakt:  oder unter 0664 60 499 264.

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