Wie weit denken wir? Das Team der Visionäre

Helene Steiner

ist Designerin und Ingenieurin, fokussiert an der ­Schnittstelle von Design, Technik und ­Naturwissenschaften

»Das Wichtigste: Die kritische Masse ist vorhanden, wie die Initiativen der Bürger und der Stadt zeigen, und der Wille und das Interesse sind da, um gemeinsam in die Zukunft zu gehen.«

Helene Steiner

Die Bewerbung als Kulturhauptstadt ist eine einmalige Möglichkeit, unsere reichhaltige Kultur und unsere Perspektiven mit Europa zu teilen. Das wirkliche Potenzial liegt jedoch im Prozess selbst, denn er bietet die Chance, gemeinsam über unsere Kultur zu reflektieren, diese zu definieren und sie weiterzuentwickeln. St. Pölten strotzt vor geschichtlichen sowie gegenwärtigen Reichtümern, wie innovativen Ausbildungsstätten, Natur direkt vor der Haustür und Bürger*innen mit einem gewissen Sinn für Nachhaltigkeit und Authentizität. Das ist eine einmalige und sehr gesunde Mischung in meinen Augen. Unsere Bemühungen sollten darauf fokussieren, diese kulturellen Reichtümer der Stadt nicht nur extern, sondern auch intern besser zu kommunizieren und damit effizienter zu verbinden. Verbinden ist hier für mich ein wichtiges Stichwort, da Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in direktem Zusammenhang zueinander stehen sollten. 

Die Bewerbung ist die einmalige Chance, dass Stadtverwaltung und Bürger*innen die Stadt gemeinsam zukunftsfit machen. Die Bewerbung setzt aber auch einen Nachdenkprozess in Gang: Was macht St. Pölten fit für die Zukunft? Wie wird die Zukunft die lokale Kultur, das Zusammenleben, die Gesellschaft verändern? Wir sollten dabei nicht diskutieren, wie neue Technik die Stadt verändert, sondern wie wir Technologien und damit unsere Stadtentwicklung beeinflussen können. Technologie ist Teil der menschlichen Kultur, Ausdruck der Zeit und eine Art kulturelles Werkzeug, das speziell in  einer kleineren Stadt bedient werden und sich an die Bedürfnisse der Bewohner*innen anpassen sollte – nicht andersherum. Die Größe unserer Stadt ist hier von Vorteil – St. Pölten kann als Sandkiste fungieren, um Ideen lokal zu testen und ihr Potenzial auszuloten. Die Stadt kann hier als positives Beispiel vorangehen und gleichzeitig die lokale Wirtschaft fördern.  Um neue Technologien in eine Stadt zu integrieren, muss eine Basis geschaffen werden. Nachhaltigkeit und langfristiges Denken sind dabei wichtig, um Grundlagen für die nächsten Generationen zu schaffen.

Langfristig gesehen sehe ich in St. Pölten großes technologisches Potenzial bei den Themen Kommunikation, Wissen, Demokratie und Mobilität.

Andreas Fränzl

ist Sänger, DJ, Kurator, Grafiker, ­bildender Künstler und Kulturarbeiter

»Allein der Bewerbungsprozess bietet die einmalige Chance, uns ins Bewusstsein zu rufen, wie vielfältig der Begriff Kultur ist und wie ­wichtig Kultur für unser Zusammenleben und unsere ­gemeinsame Zukunft ist.«

Andreas Fränzl © Sebastian Wegerbauer

Die Herausforderung, die jüngste Landeshauptstadt Österreichs zur Kulturhauptstadt Europas zu machen – oder besser gesagt: St. Pöltens Einwohner*innen selbst – ist zugegeben, nicht gerade klein.

Aber es ist machbar und schaffbar und wer sich ein bisschen mit der Entwicklung dieser Stadt auseinandergesetzt hat, weiß, dass sich in den letzten Jahren einiges getan und St.Pölten Fahrt aufgenommen hat. Es gibt eine neue Dynamik in der Innenstadtentwicklung mit jungen Gewerbetreibenden, Initiativen und Zusammenschlüssen für eine grünere, urbanere, kulturell reichhaltigere Stadt und auch neue städtische Einrichtungen wie z.B. das Büro für Diversität, das auch gesellschaftlichen Randgruppen Raum und Skills zur Verfügung stellt! Gemeinschaftliche Bottom-Up Projekte wie Sonnenpark und LAMES haben langen Atem bewiesen und nun sicheren Boden unter den Füßen bekommen für die nächsten kreativen Ausbaustufen.

Nicht zu vergessen ist auch das Umland, die gesamte Region, in der viel neues, vorwärtsgewandtes entstanden ist! Der Moment ist also ein denkbar guter, um mit europäischem Geist weiter zu gestalten und zu wachsen – am besten gemeinsam und über sich hinaus! Wir können auf Pionierarbeiten (u.a. der Freien Szene) über mehrere Generationen hinweg aufbauen und auch die vielen abgewanderten Kräfte sind mobilisierbar, wenn es ein großes visionäres Ziel gibt und (Gedanken-)Räume weit über Grenzen von politischen und wirtschaftliche Grenzen hinaus geöffnet werden.

Mit der Energie der äußerst motivierten Bevölkerung, den Bildungseinrichtungen, den Student*innen und allen von außen positiv einwirkenden Kräften können wir etwas ganz Besonderes realisieren, das Bestand hat und die Gesellschaft nachhaltig und positiv verändert!

the next ENTERprise

ist ein interdisziplinäres Büro für Stadtentwicklung und Architektur, gegründet 2000 von Marie-Therese Harnoncourt und Ernst J. Fuchs 

»Wir arbeiten daran, alles aufzuspüren, was über das ­reine Funktionieren hinausführt, es ist das Wesen von lebendiger Stadt, wie wir sie uns ­vorstellen.«

Ernst Fuchs & Marie-Therese Harnoncourt (tnE)

Was ist der Ausgangspunkt und die Herangehensweise bei der Entwicklung der Vision für die Kulturhauptstadt St. Pölten 2024?
Wir gehen von einer Stadt-Vision der Entgrenzung aus. Sie nimmt Abschied von einem mechanischen Denken, das vorwiegend technische Antworten sucht, und legt ein ganzheitliches Denken aus Geistes- und Naturwissenschaften und den Künsten zu Grunde. Städte haben das Potenzial, gesellschaftliche Vorreiter zu sein.

Worin liegen die Herausforderungen?
In der Überwindung von Gewohnheiten, an denen Menschen festhalten. Dafür ist die Methode des Experiments ein wichtiges Testfeld, in „verschobene“ Denkwelten einzutauchen und neue Perspektiven zu öffnen.
»Bewußtseinskur: ein Monat kein Salz, nun spürst du, wo das Salz drinnen ist und ob du es brauchst.« (the poor boy’s ENTERprise)

Was sind die Zielsetzungen?
Ziel ist die Entwicklung einer Stadtstrategie für »Die gemeinsame Stadt« des 21. Jahrhunderts, die multikulturell, aneigenbar und durchlässig ist, für einen »spielerischen« mobilen Menschen der Zukunft. Das europäische Kulturjahr 2024 ist ein Festival der Inspiration und »Das Jahr des Perspektiv-Wechsels«. 

Was gibt es bisher, woran man anknüpfen kann?
Prämisse ist das Anknüpfen an dem, was man vorfindet. St. Pölten ist eine gewachsene Stadt mit einer Entwicklungsgeschichte, die bis in die Steinzeit zurückreicht. Dieses kulturelle Potenzial ist wesentlicher Bestandteil für die Stadt-Vision der ­Entgrenzung. Der Denkprozess – Anfangen ohne zu Wissen, was es ist – generiert neue Lebenssphäre.

 

 

19. März 2018


Dieser Artikel ist im KulturJOURNAL#1 (Ausgabe März/April 2018) erschienen.

KulturJOURNAL#1

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