Wie es dazu kam – St. Pöltens Entwicklung zur Kulturstadt

Als St. Pölten 1986 zur Hauptstadt Niederösterreichs ­erhoben wurde, verfügte es über eine Anzahl kultureller Einrichtungen, wie man sie auch in anderen Mittelstädten Österreichs fand. Vieles musste nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufgebaut oder überhaupt neu geschaffen werden, wie die aus dem Musikverein hervorgegangene Musikschule, das 1976 neu eröffnete Stadtmuseum oder die St. Pöltner Festwochen als damals wichtigstes kulturelles Ereignis des Jahres.

Ein konstanter Faktor im Kulturleben der Stadt war seit jeher das 1968/69 generalsanierte und aufgestockte Stadttheater. Das heutige Landestheater wurde lange Zeit privat als Dreispartenhaus (Musik, Schauspiel, Tanz) und ab 1975 von der Stadt als Intendanz-Theater geführt. 2005 ging es schließlich an das Land NÖ über und wird seither als Sprechtheater mit kleinem Ensemble und prominenten Gästen ­geführt.

Stadttheater 1925 © Stadtarchiv St. Pölten
Stadttheater 1925

Im 1946 gegründeten St. Pöltner Künstlerbund trafen sich die Vertreter*innen einer moderaten modernen Kunst, die regelmäßig mit Jahresausstellungen an die Öffentlichkeit gingen. Die aktuellen Mitglieder des Vereins werden heuer die 72. Jahresausstellung in den Räumen des Stadtmuseums präsentieren. Als erste überregionale Institution für zeitgenössische Kunst wurde im Jahr 1978 im Karmeliterhof das NÖ Dokumentationszentrum für Moderne Kunst ins Leben gerufen, das bis heute einen wichtigen Faktor im Kunstleben der Stadt darstellt.

Im Jahr 1969 eröffnete im Schloss Pottenbrunn das Österreichische Zinnfigurenmuseum. Nach der Eingemeindung Pottenbrunns 1972 wurden im Schloss ab 1973 auch Sonderausstellungen durchgeführt. Diese waren großen historischen Themen, z.B. »Österreich unter Kaiser Franz Josef I.« (1978), gewidmet und fanden regen Publikumszuspruch. Rund um die Volksabstimmung über den Beitritt Österreichs zur EU im Jahr 1994 fand die Ausstellung »Europa Schrankenlos?!« statt, die an zwei Standorten einen Überblick über die Geschichte und Entwicklung Europas im 20. Jahrhundert bot. 1997 wurde in Pottenbrunn die letzte große Ausstellung präsentiert. Historische Ausstellungen deutlich kleineren Zuschnitts werden seither im Stadtmuseum gezeigt.

Inspiriert vom Geist der 68er-Jahre, formierte sich in den ausgehenden 60er- und frühen 70er-Jahren eine erste freie Szene, die gegen die Dominanz der Hochkultur rebellierte und etwa mit den »Restwochen« einen avantgardistischen Kontrapunkt setzte. Allerdings war diese ebenso eine Episode wie die von Klaus Sandler gegründete avantgardistische Literaturzeitschrift »das Pult«, die von 1968 bis 1985 erschien. 

Der Beginn der Landeshauptstadtwerdung wurde von einem weitgehend konservativen kulturellen Klima geprägt. Lediglich seitens der Öffentlichkeitsarbeit der Stadt suchte man – im Sinne einer Erweiterung des Kulturbegriffs – neue Wege, indem man verschiedenste Fördermöglichkeiten für den Jugendkulturbereich schuf.

Um für die Herausforderungen der kommenden Zeit gerüstet zu sein, entstand 1989/90 eine Kulturstudie, die sowohl eine kulturelle Bestandsaufnahme des Ist-Zustandes als auch Entwicklungsmöglichkeiten für die Zukunft vorsah.

Schon kurz zuvor war man nach dem Scheitern eines Theaterprojekts der freien Szene zur Erkenntnis gekommen, dass sich eine derartige Einrichtung nur dann etablieren könne, wenn sie an einem fixen Ort existiere. Dies führte letztlich zum ersten überregionalen Kulturprojekt der Landeshauptstadt: In Zusammenarbeit mit der Kulturplattform St. Pölten, die in weiterer Folge auch das »Höfefest« als Marke in der Stadt etablierte, wurde die Bühne im Hof gegründet. Mit ihrer Palette aus Jugendtheaterproduktionen, Kabarett, Initiativen zur Begegnung neuer Kulturen, aber auch Tanz, schrieb die Bühne von Beginn an eine Erfolgsgeschichte.

Dasselbe gilt für das 1997 eröffnete Festspielhaus – Sitz des NÖ Tonkünstlerorchesters –, das nicht nur über einen akustisch herausragenden und hochwertigen Konzertsaal verfügt, sondern aufgrund seiner Bühne und des Besucherraumes auch für Musiktheater oder andere Produktionen geeignet ist. Tanz stand daher lange Zeit auch im Mittelpunkt der Programmierung des Hauses. Diese deckte sich mit den Bemühungen der Stadt um die Etablierung eines Ballettkonservatoriums, das – wie auch eine Zeitlang das Festspielhaus mit der »abcdancecompany« – über ein eigenes Ballettensemble verfügt.

Yang Liping Contemporary Dance im Festspielhaus © Ding Yi Jie
Yang Liping Contemporary Dance im Festspielhaus St. Pölten

Die bisherigen künstlerischen Leiter*innen setzten programmatisch immer ihre eigenen Akzente. Diese reichten von einem stark konservativen, nichtsdestotrotz aber finanziell erfolgreichen, bis hin zu einem künstlerisch anspruchsvollen, avantgardistischen Weg, der allerdings bisher noch nicht die gewünschte Resonanz beim Publikum findet. Um überregional bestehen zu können, wird man hier weiterhin gezielt an der Programmierung, die dem Haus sein spezifisches Profil verleiht, arbeiten müssen. Ein weiteres wichtiges Ziel ist, die bisher in Ansätzen versuchte Vernetzung mit anderen Kultureinrichtungen St. Pöltens zu verstärken und auszubauen.

Diese engere Verzahnung der Arbeit von städtischen und landeseigenen Kultureinrichtungen war längst überfällig. In den ersten Jahren der Hauptstadtentwicklung gab es kaum Kontakte – vieles wurde parallel erledigt, was in gemeinsamer Arbeit sicher mehr Nutzen gebracht hätte. Mit der gemeinsamen Bewerbung um den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt Europas 2024 wird nun erstmals bei einem großen Kulturprojekt eng und konzertiert zusammen gearbeitet!

Im Bereich der Popular-Kultur setzte die Stadt mit dem 1992 eröffneten Veranstaltungszentrum im Süden St. Pöltens ein Zeichen. Das VAZ mit dem integrierten Live-Club Ware House – einem Hotspot für jugendliche Besucher*innen – ist nicht nur wichtiger Veranstaltungsort für Kongresse, Messen und Veranstaltungen aller Art, sondern auch für Festivals wie das Beatpatrol oder das Frequency, das St. Pölten für mehrere Tage im Jahr zum mitteleuropäischen Mekka der Club-, Dance- und Popmusik macht. Diesen Festivals voraus gegangen war das nach der Ernennung zur Landeshauptstadt jährlich durchgeführte »Hauptstadtfest«, das jahrmarktartig viele Straßen und Plätze der Stadt kulturell belebte und auch große Live-Acts auf der Bühne am Domplatz präsentierte.

Einen wesentlichen Impuls für die kulturelle Entwicklung setzte auch das 2002 ins Leben gerufene Programmkino Cinema Paradiso am Rathausplatz. Trotz längerer Anlaufphase ist der Ort mittlerweile längst nicht mehr aus der Stadtszene wegzudenken.

Die Jugendkultur wurde aber auch von der Stadt selbst durch das Jugendzentrum Steppenwolf und die Veranstaltungshalle Freiraum mit »Raum« gefördert. Dadurch wird wichtiger Experimentier- und Handlungsspielraum für die junge und unabhängige Szene St. Pöltens und der Umgebung geschaffen. 

Freiraum St.Pölten © Klaus Engelmayer
Freiraum St. Pölten

Darüber hinaus entstanden im E-Musik-Bereich überregionale Konzertreihen wie die »Meisterkonzerte«, das St. Pöltner Barockfestival oder das Festival »Jazz im Hof«. Die überaus erfolgreiche städtische Musikschule mit angeschlossener Ballettschule und -konservatorium führt derzeit in enger Zusammenarbeit mit dem Land NÖ eine Musik- und Kunstschule im Probebetrieb.

Als Pendant zum 2002 eröffneten NÖ Landesmuseum (inzwischen »Museum Niederösterreich« mit dem neu eröffneten »Haus der Geschichte« und einem »Haus der Natur«) öffnete das »geliftete« Stadtmuseum 2007 seine Pforten. Neben den Dauerausstellungen zur Archäologie, zur Stadtgeschichte und zum  St. Pöltner Jugendstil bietet das Haus eine breite Palette an Sonderausstellungen und anderen Veranstaltungen.

Das im Domareal untergebrachte Diözesanmuseum, das mit seinem Gründungsjahr 1888 auf eine reiche Geschichte zurück blicken kann, arbeitet aktuell intensiv an seiner Neupositionierung und einer Attraktivierung des Zugangs zum Museum. Die Diözese St. Pölten verfügt darüber hinaus mit dem Diözesankonservatorium über eine wichtige kulturelle Bildungseinrichtung, die hervorragende Kirchenmusiker heranbildet. Von überregionaler Bedeutung ist der Domchor, ebenso wie das Festival Musica Sacra, das zu den bedeutendsten Festivals seiner Art bis über die Grenzen Österreichs zählt.

Neben einer Vielzahl von Vereinen, die seit Jahrzehnten fixer Bestandteil des Kulturlebens sind – z.B. der Stadtchor, der Musikverein, die Literarische Gesellschaft oder die über 30 Jahre erfolgreiche Amateurtheaterformation Perpetuum – mischen in der jüngeren Geschichte auch eine Reihe avantgardistischer Kulturveranstalter*innen die Kulturszene auf. LAMES mit seinem Partnerverein Sonnenpark oder das Institut für Medienarchäologie bereichern die Kulturszene der Stadt enorm. Aber auch die ansässigen Schulen und Hochschulen – allen voran das BORG, die Fachhochschule und die New Design University (NDU) – haben großes Potenzial, die Stadtkultur noch intensiver mitzuprägen. 

Daniel Wandl bei Parque del sol 2017 © Thomas Schnabel
Daniel Wandl bei Parque del sol 2017 im Sonnepark.

All diese Akteur*innen – die erwähnten »großen« Kulturinstitutionen genauso wie die freie Szene – bilden einen wichtigen Teil des kulturellen Kapitals der Stadt und sind somit (potenzielle) Träger*innen für die weitere Entwicklung sowie für die Bewerbung St. Pöltens als Kulturhauptstadt Europas 2024.

18. Mai 2018


Gastautoren

Thomas Karl
Leiter Kulturamt St. Pölten

Thomas Pulle
Leiter Stadtmuseum St. Pölten


Dieser Artikel ist im KulturJOURNAL#2 (Ausgabe Mai/Juni 2018) erschienen.

KulturJOURNAL#2

Mein Besuch

0 Einträge Eintrag

Voraussichtliche Besuchszeit

Liste senden