Mitmachen, mitentscheiden und mitgestalten – Wem gehört die Stadt?

St. Pölten hat sich vor Jahren auf einen neuen Weg begeben. Weg vom regionalen Zentrum, dominiert von Industrie, hin zum Mittelpunkt eines Zentralraumes – vielleicht auch des ganzen Bundeslandes – mit einem bunten Mix an Einrichtungen der Bildung, Kultur und Wirtschaft. Dabei werden alte Gewohnheiten, Strukturen und Wahrnehmungen aufgebrochen. Dies passiert gerade in hohem Tempo, was nicht unmittelbar etwas mit der Bewerbung als Europäische Kulturhauptstadt zu tun hat. Jedoch macht der soeben gestartete Prozess diese Entwicklungen sichtbarer und gibt dem Ganzen einen Rahmen.

Um auf diesem Weg der Vielzahl an Menschen und Meinungen in dieser Stadt Rechnung zu tragen, begibt sich die Plattform in Kooperation mit dem Büro St. Pölten 2024 auf den Weg, um jene Menschen aufzusuchen, die bisher noch nicht ausreichend gehört wurden. Dies war unserer Meinung nach auch beim Kulturforum #1 zu sehen. Denn obwohl die Einladung nahezu alle Haushalte erreicht hat, spiegelten die Anwesenden bei Weitem nicht die Vielfalt unserer Stadt wieder. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass dieses Projekt nur so erfolgreich werden kann, wie die Bürger*innen dieser Stadt vom gemeinsamen Weg überzeugt sind, um glaubwürdige Botschafter*innen des Prozesses zu werden.

Wir als Bürger*innen-Plattform werden uns in den nächsten Wochen und Monaten mittels verschiedenster Formate auf die Suche nach jenen begeben, die uns im Prozess bis jetzt am wenigsten untergekommen sind. Seien es Kinder und Jugendliche, Senior*innen, Migrant*innen, Arbeitssuchende, Menschen mit Behinderungen oder Kunst- und Kulturschaffende, Aktivist*innen, Religionsgemeinschaften, u.v.m. Wir werden diese Menschen einladen und darin bestärken von ihrem Recht auf Teilhabe Gebrauch zu machen, sowie ihre Meinung in allen Facetten kundzutun. Bei diesen Gesprächen wollen wir uns vorrangig folgenden Fragestellungen ­widmen: Welche Möglichkeiten gibt es, teilzuhaben und sichtbar zu werden? Welche Orte und Akteur*innen gibt es, die dies unterstützen? Welche Barrieren sind vorhanden, was fehlt?

Gemeinsam mit verschiedenen Protagonist*innen haben wir ein erstes Stimmungsbild zu unterschiedlichen Themen gezeichnet, das wir im Folgenden skizzieren.

Wie eingangs schon erwähnt, gibt es Grätzel, die aufgrund ihrer Lage, soziokulturellen Zusammensetzung oder besonderen Herausforderungen, von ihren Bewohner*innen kaum verlassen werden. Dass jedoch jene Menschen, die den Rathausplatz nur selten betreten, weniger gehört werden sollen, kann nicht sein. Daher auch hier das Bekenntnis unsererseits, den Kontakt vor Ort zu suchen, das Projekt vorzustellen und die Ursachen für die schwierigere Erreichbarkeit zu finden. Und somit auch erste Schritte in Richtung dringend notwendiger Grätzelarbeit zu setzen, Anlaufstellen vor Ort (Grätzelzentren) zu etablieren und diesen Menschen ein mehr an Aufmerksamkeit von offizieller Seite zu schenken.

St. Pölten sieht sich städtebaulichen Herausforderungen gegenüber: Die Zersiedelung am Stadtrand, die damit einhergehende Frage der Mobilität, der Anbindung ländlicher Regionen vor allem via öffentlicher Verkehrsmittel, die abseits der Westbahnstrecke, selbst in größere Städte wie Krems großen Verbesserungsbedarf haben.

Was die Region als Handreiche dafür tun kann, St. Pölten zu ihrem Zentrum zu machen, hat auch damit zu tun, inwiefern den Ideen und Personen aus der Region Sichtbarkeit und Plattform geboten wird, um Vorurteile abzubauen, sich kennenzulernen, auszutauschen und langfristig gesehen eine gemeinsame Identität zu bilden, wo es bis dato keine gibt. Die Bewerbung als Europäische Kulturhauptstadt bringt die Möglichkeit mit sich, die Grundsteine für diese gemeinsame Kulturhauptstadtregion »Mitten in Europa« zu legen.

Eine weitere Herausforderung ist die Ansiedelung von Gewerbe und Industrie an den Stadträndern, welche das Zentrum stark belastet und zu allbekanntem Leerstand führt, dem nur schwierig beizukommen ist. Stadtteilzentren der eingemeindeten elf Dörfer, wie z.B. Wagram, Spratzern, Harland, etc., haben den Kampf gegen die Einkaufszentren längst verloren und auch die Innenstadt kämpft dagegen an. In St. Pölten wird das Problem momentan scheinbar mit dem Abbruch betroffener Gebäude gelöst, die Erdgeschoßzone bei den Neubauten jedoch wenig berücksichtigt und sonst mit allen Mitteln versucht, die Konsument*innen zurück in die Stadt zu locken. Was dazu führt, dass die Balance zwischen Konsumzonen und konsumfreien Orten schon lange nicht mehr gewährt ist. Schanigärten und Parkplätze nehmen immer noch einen viel zu wichtigen Stellenwert ein, auf Kosten der Aufenthalts- und Lebensqualität auf den Plätzen in der Innenstadt. Man will nicht immer als Konsument*in behandelt werden, sondern einfach als Bürger*in die Stadt ohne Zwang besuchen und nutzen. Wie ein gemeinsames Miteinander bestens funktionieren kann, davon kann man sich jeden Samstag Vormittag am Domplatz überzeugen.

Diese Freiräume, aktuell auch Thema der diesjährigen Biennale in Venedig, sind ein unglaublich wichtiger Katalysator für unsere Gesellschaft. Diese Möglichkeiten des Austauschs und Verhandelns untereinander, dürfen wir uns nicht unter den Prämissen der Gewinnmaximierung und Bequemlichkeit nehmen lassen. Selbes gilt für leerstehende Geschäftslokale und ganze Gebäude.

Besonderes Augenmerk möchten wir hierbei auf die Potenziale für kulturelle Nutzungen hinweisen, um auch Basisarbeit für heranwachsende Künstler*innen zu leisten und ihnen die Wertschätzung entgegenzubringen, wie es einer zukünftigen Kulturhauptstadt Europas gebührt. St. Pölten hat durchaus in einigen Sparten einen guten Ruf und vielversprechende Talente. Diese benötigen jedoch leicht zugängliche und kostengünstige Infrastruktur, wie z.B. Proberäume (aktuell bei der Mülldeponie). Eine Investition, die positiv auf die Stadt zurückfällt.

Hier ist klar eine Zusammenarbeit mit Entscheidungsträger*innen gefragt. Mit dem Ziel, Engagierte dabei zu unterstützen, einen Raum zu finden, sei es eben für kulturelle/soziale Bespielungen (temporäre Ausstellungsflächen/Ateliers/Gemeinschaftsräume) oder für gewerbliche Nutzungen (Pop-Up-Stores/Büros/Gastronomie). Dies führt zu einer langfristigen Belebung der Straßenzüge und Gebäude, hilft den Hausbesitzer*innen durch Aufwertung der Zwischennutzer*innen wieder langfristige Mieter*innen zu finden und den Akteur*innen günstig und ohne großen Organisationsaufwand Orte bespielen zu können. Erste Bemühungen von Seiten der Stadt sind sichtbar, aber Orte mit Potenzial gibt es noch viele.

18. Mai 2018


 Gastautoren

Bürger*innen-Plattform KulturhauptSTART


Vollständigen Stellungnahmen von Jörg Bichler, Martina Eigelsreiter, Marcus Hufnagl und Lothar Rehse:

KulturhauptSTART


Dieser Artikel ist im KulturJOURNAL#2 (Ausgabe Mai/Juni 2018) erschienen.

KulturJOURNAL#2

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