Kulturhauptstadt St. Pölten – Zwischen Europa und Region

St. Pölten bewirbt sich um die Ausrichtung der Kulturhauptstadt Europas 2024. Der Blick ist nach Europa gerichtet, alle sind startklar. Wie kann die Bewerbung zum Vorteil sowohl der Stadt als auch der umgebenden ­Region, ja sogar ganz Niederösterreichs werden?

Zunächst stellt sich wohl die Frage, wie eine »Kulturhauptstadtregion« definiert werden könnte. Genau genommen umfasst ja selbst das Gemeindegebiet von St. Pölten urbane wie auch dörfliche Strukturen. Nicht zu Unrecht war beim ersten Kulturforum der Begriff der »Dorfstadt« in vieler Munde. Dass »ganz St. Pölten« ins Rennen geht, ist wohl klar, doch was versteht man dann unter Umland? Den politischen Bezirk, mit oder ohne dem ein oder anderen Nachbarbezirk? Hier wird bald klar, vor allem beim Gedanken an die zahlreich eintreffenden Gäste von fernen Gestaden, dass ein Denken mit kommunalen Grenzziehungen oder politischen Bezirken nicht darstellbar sein wird.

Nicht uncharmant wirkt der von KulturhauptSTART lancierte Vorschlag eines 24 Kilometer Rings um die Stadt St. Pölten – unter sublimem Hinweis auf die Bewerbung für das Jahr 2024. Tatsächlich findet sich in diesem Umkreis ein Einzugsgebiet für St. Pölten, das zumindest einen Rahmen (mit Augenzwinkern) bieten kann. Denn natürlich sind 24 Kilometer ein bisschen willkürlich. Bei Linz 09 oder erst recht bei Graz 2003 wäre man wohl sehr bald auf starre Grenzen gestoßen.

Betracht man den 24 Kilometer Kreis als erste Orientierung, die nicht in aller Strenge exekutiert wird und vor allem Kunst und Kultur keine willkürlichen Limits verpasst, so kann dies eine Annäherung für eine Kulturhauptstadtregion darstellen. Stellt man nämlich die Frage nach dem Wirkungskreis, den eine mittelgroße Stadt wie St. Pölten entfaltet, dann sieht man die Ausstrahlung dieser Stadt als Ort der Arbeit, der Bildung, des Konsums, der Freizeitgestaltung, von Sport und Kultur. Für viele Menschen im Umkreis von rund 30 Kilometern, manchmal mehr (z.B. Studium) und manchmal weniger (im Falle alltäglicher Besorgungen), übt St. Pölten mit seinem vielfältigen Angebot eine gewisse Sogwirkung aus und stellt somit einen attraktiven Anziehungspunkt dar.

Und blickt man von St. Pölten aus in die Kulturhauptstadtregion, so sieht man einige der renommiertesten Kulturstandorte im Osten Österreichs. Beginnend mit Melk im Westen mit seinem Barockstift von wahrhaft europäischem Format und als längst dienendem Standort für Freilufttheater, über die Schallaburg als wichtiges Ausstellungszentrum des Landes Niederösterreich durch das Welterbe Wachau bis zum Stift Göttweig und Krems am anderen Donauufer mit seinem Schwerpunkt im Bereich der Bildenden Kunst. Weiter über Grafenegg, das sich in kürzester Zeit als musikalischer Fixstern für Orchester aus halb Europa und dem Rest des Erdkreises etabliert hat. Im Osten St. Pöltens bildet der Wienerwald jenseits von Neulengbach und Eichgraben wohl eine natürliche Grenze für das St. Pöltner Einzugsgebiet ebenso wie die Berge der Voralpen eine Grenze im Süden jenseits von Lilienfeld darstellen.

Viel an Potenzial steckt in dieser nur äußerst rudimentär skizzierten Zone, in kultureller und ganz besonders auch in touristischer Hinsicht: Jährlich ziehen die Kulturdenkmäler, Ausstellungshäuser und Festivals dieser Region eine Million Kulturtouristen an. Die Übernachtungsbetriebe in den Gemeinden konnten im Jahr 2017 über 600.000 Nächtigungen verzeichnen. Nicht zuletzt der Status als UNESCO Welterbestätte der Wachau sorgt schon jetzt für ein internationales Publikum, von dem bei erfolgreicher Kandidatur 2024 auch St. Pölten profitieren sollte. 

Aber ist dieses Denken in kulturtouristischen Effekten legitim und nicht etwa schädlich für die künstlerische Dimension der Kulturhauptstadt?

Diese Frage kann mit Referenz zu den Beschlüssen des Europäischen Parlaments und des Rates klar beantwortet werden. Die Beschlüsse Nr. 445/2014/EU und als Vorgänger Nr. 1622/2006/EG bilden die Grundlage für die Durchführung der Aktion der Kulturhauptstädte Europas und zeigen das explizite Ziel, eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen. Dies bezieht sich sowohl auf die Einbeziehung eines Umlands als auch die gesteigerte Ausstrahlung, die dem Kulturtourismus starke Impulse verleihen soll. Definitiv festgehalten wird im Beschluss aus dem Jahr 2014 jedoch auch, dass der Titel einer Stadt vorbehalten bleibt und die umliegende Region einbezogen werden kann.

Gut möglich, dass darin eine Chance für die gesamte Kulturhauptstadtregion und darüber hinaus zu sehen ist: nämlich zu zeigen, wie die Wechselwirkungen zwischen einer mittelgroßen Stadt und ihrer Umgebung für beide Seiten zum Mehrwert führen kann. Natürlich speziell mit den Mitteln und Möglichkeiten von Kunst und Kultur.

Hier könnte noch ein Muster erwachsen, das auf ähnlich gelagerte Mittelstädte in Europa anregend und in manchem sogar vorbildhaft wirken könnte. So könnte St. Pölten mit seiner Bewerbung den Versuch unternehmen, auf Erfahrungen bisheriger Kulturhauptstädte aufzubauen und durch seine spezifische Verfasstheit (etwa als einzige demokratisch per Volksentscheid gewählte Landeshauptstadt, die von einer historisch bedingten Randsituation in die Mitte Europas gerückt ist) neue Facetten dem überaus vielseitigen Gesamtbild Europas hinzuzufügen – ­alles denkbar.

Aber jedenfalls und immer nur im Zusammenwirken mit den Kreativen und Kunstschaffenden, denen der Titel der Kulturhauptstadt als Inspiration und Bühne ihres Schaffens dienen möge. Folglich geht es nicht um die exakte Definition der Kulturhauptstadtregion und ihrer Begrenzung, sondern in erster Linie um die Entfesslung des künstlerischen und kulturellen Potenzials in und um St. Pölten, um die Schärfung des eigenen Profils im Austausch und zum Nutzen der Stadt, der Region und des Landes: als funkelnder Glasstein im Kaleidoskop Europas.

Die Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas 2024 kann somit den Grundstein dafür legen, das große Potenzial einer Kulturhauptstadt-Region nachhaltig auf die europäische Landkarte zu bringen.

18. Mai 2018


Gastautoren

Martin Grüneis
Abteilungsleiter-Stellvertreter

Alexandre Tischer
Leitung Öffentlichkeitsarbeit

Abteilung Kultur & Kultur des Amtes der NÖ Landesregierung


Dieser Artikel ist im KulturJOURNAL#2 (Ausgabe Mai/Juni 2018) erschienen.

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