Ulrich Fuchs im Gespräch – Erfahrungen aus Linz, Marseille & der EU-Jury

Ulrich Fuchs ist Hochschullehrer und Kulturmanager. Bis Jahresende ist er Vorsitzender der EU Jury zur Auswahl, Begleitung und Evaluierung aktueller und künftiger Europäischer Kulturhauptstädte, allerdings nicht mehr für die Auswahl der österreichischen Kulturhauptstadt Europas 2024 zuständig. Davor war er stellvertretender Intendant und Programmdirektor der Kulturhauptstädte Linz 2009 und Marseille-Provence 2013.

Als Programmdirektor zweier europäischer Kulturhauptstädte und als derzeitiger Vorsitzender der EU-Auswahljury sind Sie einer der genauesten Kenner dieses Titels. Wie würden Sie erklären, was es braucht um Kulturhauptstadt Europas zu werden und worauf die Jury am genauesten schaut?

Für die Jury sind die Qualität und die Glaubwürdigkeit des Projekts – orientiert an den präzise beschriebenen sechs Kriterien – der entscheidende Prüfstein. Um diesen Anforderungen einer Bewerbung gerecht zu werden, bedarf es Offenheit, Neugierde, Humor, Orientierung an europäischen Werten wie Toleranz, Demokratie, Solidarität und Mitmenschlichkeit. Es macht auch Sinn, Erreichtes in Frage zu stellen, auf Qualität zu überprüfen und neue Horizonte zu definieren. Jede Bewerberstadt sollte sich fragen, was können wir Europa über uns erzählen und was können wir von Partnern aus Europa für uns lernen. 

Die Langzeit-Strategie findet sich in den Bewerbungsunterlagen immer wieder. Hier gibt es von Seiten der EU die klare Anforderung, dass man als Bewerberstadt eine langfristige Perspektive definiert, die über das Kulturhauptstadtjahr hinausgeht. Das war nicht immer so. Warum wurde hier von Seiten der EU nachgebessert?

In der Vergangenheit hat es sich einige Male gezeigt, dass die ausgewählten Städte das Projekt mit einer einmaligen Stadtmarketing-Kampagne verwechselt haben. In Wirklichkeit handelt es sich aber darum, das Kulturhauptstadtjahr als einen Katalysator für ein langfristiges Stadt- und Regionalentwicklungskonzept zu nutzen und ein breit angelegtes Kulturverständnis als Treiber in diesem Prozess zu begreifen. Mit der Verpflichtung, eine Kulturstrategie zu erarbeiten und sie politisch zu verankern, versucht die EU, die verantwortlichen Politiker*innen einzuladen, über Legislaturperioden hinaus zu denken.

Wie werden vonseiten der EU-Institutionen der Erfolg bzw. die Auswirkungen des Projekts Kulturhauptstadt Europas bewertet? 

In der Tat gibt es sehr viele offizielle und inoffizielle Evaluierungen des Projekts – generell und bezogen auf einzelne Städte. Und darüber hinaus mittlerweile zahlreiche Doktorarbeiten und Publikationen. Monitoring und Evaluierung sind für Kulturhauptstädte auch verpflichtender Bestandteil. Der Zuschlag beziehungsweise der Titel »Kulturhauptstadt Europas« allein sind keine Garantie für Erfolg. Es hat in der Vergangenheit erfolgreiche, weniger erfolgreiche und gescheiterte Kulturhauptstädte gegeben. Das sind – wie im Übrigen bei allen Unternehmungen – eben auch die Risiken eines solchen Projekts.

Der Aspekt der Nachhaltigkeit hat in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen – aus guten und wichtigen Gründen. Zur Nachhaltigkeit zählt zum Beispiel für den Diskurs der Jury auch, wie die Politik nach dem Kulturhauptstadtjahr mit dem kulturellen Sektor umgeht.

Sie haben Kulturhauptstädte in so unterschiedlichen Ländern wie Österreich und Frankreich umgesetzt und in Deutschland eine Bewerbung vorbereitet. Welche Rolle spielten dabei die politischen Erwartungshaltungen bzw. wie behandelt die Jury dieses Thema?

Dass es bei einem Projekt wie »Kulturhauptstadt Europas« politische Erwartungshaltungen gibt, gelegentlich auch politischen Druck, ist völlig normal und auch berechtigt. Schließlich trägt man zum Beispiel als Intendant*in die Verantwortung auch dafür, viele Millionen Euro öffentlicher Gelder, Steuermittel, sinnvoll einzusetzen. Die professionelle Handhabung zu kontrollieren ist Aufgabe eines Aufsichtsrats, in dem auch die Politik vertreten ist.

Auf der anderen Seite muss ebenso klar sein, dass die Gestaltung des Programms einer Kulturhauptstadt nicht Sache der Politik oder des Aufsichtsrats ist, sondern der künstlerischen Leitung des Projekts. Das gilt auch für die Inhalte des Bewerbungsprozesses. Ich hatte sowohl in Linz als auch in Marseille diese künstlerische Unabhängigkeit und Freiheit als Bestandteil meines Anstellungsvertrags, den ich ohne diese Zusicherung auch nicht unterschrieben hätte. Die europäische Jury erwartet in der Bewerbung eine entsprechende Formulierung auch im »bid book«.

In St. Pölten denkt man bei dem Thema natürlich schnell an Linz09. Wenn Sie jetzt auf das Kulturhauptstadtjahr und die Vorbereitungen zurück blicken, wovon könnte St. Pölten lernen?

Kurz gesagt: Von den Erfolgen und den Fehlern! Es lohnt sich, das Beispiel Linz09 genauer zu studieren. Ich will nur wenige Beispiele nennen. Sehr gut gelungen scheint mir, wie Linz seine eigene Geschichte heute glaubwürdig und authentisch »erzählt«. Das ist vor allem ein Verdienst der dank Linz09 neu entwickelten Zusammenarbeit zwischen den Kulturakteuren und dem Tourismusverband Linz. Eines unseres größten Versäumnisse ist es, der Kulturpolitik von Stadt und Land keine Verpflichtung abgerungen zu haben, den eingeschlagenen Weg konsequent fortzusetzen.

Nach zehn Jahren »Kulturhauptstadt Machen« und fast fünf Jahren in der Jury, was macht für Sie die Faszination dieses Titels aus und wie würden Sie ein gelungenes Kulturhauptstadtjahr beschreiben?

Wenn man bedenkt, wie gering die Mittel sind, die die Europäische Union für Kunst und Kultur aufwendet, dann ist der Erfolg des Projekts schon erstaunlich. Mich fasziniert immer wieder die unglaubliche Vielfalt kultureller Ausdrucksformen in Europa. Geographisch gesehen ist unser Kontinent ja eigentlich vergleichsweise klein und zugleich aber so wunderbar heterogen. Diesen Reichtum sollten wir gegen diejenigen verteidigen, die Europa schlecht reden und nationalistische Dumpfheit auf ihre populistischen Fahnen schreiben. Ein gelungenes Kulturhauptstadtjahr fördert die Offenheit und Neugierde eines möglichst großen Publikums auf diese Vielfalt.

 

18. Mai 2018


Dieser Artikel ist im KulturJOURNAL#2 (Ausgabe Mai/Juni 2018) erschienen.

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