Ist-Analyse St. Pölten – Ergebnisse vom KulturFORUM#1

Mehr als 200 Bürger*innen aus St. Pölten und der Region diskutierten unter dem Motto »Machen wir St. Pölten zur Kulturhauptstadt Europas« beim KulturFORUM #1 am 4. April im ehemaligen Löwa-Kaufhaus am Neugebäudeplatz über die Zukunft ihrer Stadt. Ziel war es, das Profil, die eigenen Stärken, Talente und Begabungen, aber auch die Defizite und Schwächen St. Pöltens zu erkennen und die regionale Identität zu stärken. Die Ergebnisse der Diskussionen flossen in die Ist-Analyse ein, die wiederum Basis für die Entwicklung der spezifischen Arbeitsfelder einer Kulturstrategie »St. Pölten 2030« sowie einer Vision und Strategie zur Bewerbung St. Pöltens als Kulturhauptstadt Europas 2024 ist. 

An sechs moderierten Thementischen wurde der Ist-Stand St. Pöltens diskutiert and analysiert.

Ganz bewusst wurde das nun seit mehr als zehn Jahren leerstehende Geschäftslokal des ehemaligen Löwa-Kaufhauses am Neugebäudeplatz als Veranstaltungsort des ersten von insgesamt drei KulturFOREN im Rahmen des Bewerbungsprozesses um die Kulturhauptstadt Europas 2024 ausgewählt, um als Arbeits- und Handlungsraum zu fungieren. Ein außergewöhnlicher und unüblicher Ort für eine solche Veranstaltung, der unter großen Mühen der Verantwortlichen veranstaltungstauglich gemacht wurde. Dazu kommt, dass gezielt Orte bespielt und temporär aktiviert werden wollen, in denen auch Potenzial für die Weiterentwicklung von St. Pölten liegt.

Die Gäste wurden vom Bürgermeister der Stadt St. Pölten, Matthias Stadler, und dem Leiter der Abteilung Kunst und Kultur des Landes NÖ, Hermann Dikowitsch, begrüßt. Betont wurden dabei nicht nur das große Potenzial und die Entschlossenheit, mit der das Ziel verfolgt wird, Ende 2019 den Zuschlag der Jury für die Kulturhauptstadt 2024 zu erhalten. Auch das partnerschaftliche Vorgehen von Stadt und Land stellt eine ideale Grundlage dar und öffnet neue Wege. In Einführungsvorträgen erklärten der Geschäftsführer des Bewerbungsbüros »St. Pölten 2024« Michael Duscher sowie Prof. Rudolf Scheuvens vom Planungsbüro »Raumposition« die Herausforderungen des Bewerbungsverfahrens und die Strategie für die gemeinsame Erarbeitung der inhaltlichen Grundlagen für die Bewerbung.

KulturFORUM#1-1 © C. Fürthner

In diesem Sinne starteten die Bürger*innen anschließend mit einem offenen Brain-Storming. An sechs gemeinsam mit der Bürger*innen-Plattform KulturhauptSTART moderierten Thementischen wurden der Ist-Stand St. Pöltens und mögliche Zukunftsszenarien auf der Grundlage von 3 Fragestellungen diskutiert. Ausgehend von der Frage »Woher kommen wir? Wo stehen wir?« wurde die Ergänzung der Bestandserhebung für den Bewerbungsprozess in den Fokus gerückt. Die nächste Runde setzte sich mit der Frage »Wohin wollen wir?« auseinander, bei der es um die Identifizierung von Zukunftsthemen im Kontext einer nachhaltigen Kulturstrategie für St. Pölten 2030, die Voraussetzung für eine Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas 2024 ist, geht. 

Im Folgenden möchten wir Ihnen einen Überblick darüber geben, was an den Tischen beim KulturFORUM #1 diskutiert wurde:

1. Der Raum & der Standort

Jeder Stadtteil hat eine eigene Identität

  • St. Pölten ist eine gewachsene Struktur. Es gibt 11 Stadtteile mit 42 Katastralgemeinden.
  • Jeder Stadtteil hat eine eigene Identität (»die Wagramer«, »die Radlberger«, etc.), eine gemeinsame Identität ist schwer definierbar.
  • Vielfalt der Identitäten als Stärke sehen und das Verbindende suchen. Vielleicht könnte man neben der »Kulturhauptstadt« auch »Kulturhauptdörfer« formen – in jedem Stadtteil das Besondere finden und alle Stadtteile vernetzen. 

St. Pölten ist provinziell und keine ­Landeshauptstadt

  • Provinzialität ist negativ und positiv besetzt. Was heißt provinziell überhaupt?
  • Landeshauptstadt St. Pölten: Ist das in den ­Köpfen und Herzen angekommen?

St. Pölten ist eine Nutzstadt, keine Lebensstadt

  • St. Pölten ist Pendlerstadt für die Umlandbevölkerung, aber auch für Wiener*innen.
  • St. Pölten ist Schul- und Universitätsstadt für Schüler*innen und Student*innen. Dies ist allerdings in der Stadt noch nicht sichtbar.
  • St. Pölten ist für die Region eine Stadt, um Erledigungen des Alltags zu tätigen, um zum Arzt zu gehen, um Gemüse aus der Region (!) am Markt zu kaufen.
  • St. Pölten ist also mehr Nutzstadt, als Lebensstadt. Die Menschen nutzen die Stadt, verlassen sie danach aber wieder. Sie ist also Transitraum.

St. Pölten ist nicht schön

  • Die Bewohner*innen sehen die Stadt als »nichts Besonderes« und sind sich nicht dessen bewusst, dass sie in einer schönen Barockstadt leben. Aber vielleicht ist St. Pölten die »goldene Mitte«?
  • Die Außenwirkung und das Image sind noch immer eher negativ, genaue Gründe (etwa früher der Gestank der Glanzstoff) sind aber unbekannt.

Öffentlicher Verkehr: Benachteiligung der umliegenden Regionen, Bevorzugung Wiens

  • Benachteiligung der umliegenden Region und Bevorzugung Wiens durch den Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes (Westbahnstrecke).
  • Daraus ergibt sich eine Verschiebung der räumlichen und zeitlichen Dimension. Während das Umfeld, die Region, räumlich zwar näher an St. Pölten liegt, rückt sie in der zeitlichen Dimension weiter weg. Kurz: Wien liegt zwar geografisch weiter weg, ist durch die Westbahnstrecke aber näher (weil in kürzerer Zeit erreichbar) als die umliegenden Orte. Ab einer bestimmten Zeit am Abend sind diese gar nicht mehr zu erreichen. Nach Wien fährt zwischen Mitternacht und 5:00 Uhr kein Zug.

Stadteinfahrten sind nicht einladend

  • Sie haben einen großen Einfluss auf die Wahrnehmung der Stadt von außen und sollen attraktiver gestaltet werden.

Netzwerke aufbauen

  • Kulturachse Krems–St. Pölten: Netzwerke anzapfen.
  • Bestehende Städtepartnerschaften pflegen und ausbauen.

Infrastruktur für die Freizeit fehlt

  • Verbindungen und Wege für freizeitliche Aktivitäten in St. Pölten schaffen und an die Region anbinden.
  • Infrastruktur für neue (Tourismus-)Zielgruppen schaffen, z. B. für Reiter*innen, Radfahrer*innen.

St. Pölten ist noch keine Tourismusstadt

  • Das touristische Angebot ist noch nicht entwickelt und die touristische Vermarktung verweist wenig selbstbewusst auf woanders.
  • St. Pölten wird neben der Bewerbung als Stadt der Meetings, Kongresse, Seminare und Incentives primär als Ausgangspunkt für Ausflüge in andere Orte vermarktet.
  • Das gastronomische Angebot wird als gastronomische Wüste bezeichnet. Es fehlt z.B. die Kultur des Ausgehens nach einem Kulturbesuch.

2. Die Orte der Kultur & das Wesen

Überdurchschnittliches Kulturangebot für eine Mittelstadt

  • Es gibt zahlreiche Vereine, kulturelle Einrichtungen und Initiativen, die aber wenig miteinander verbunden sind.
  • Es braucht eine offensive Kulturvermittlungs­strategie.
  • Die Kommunikation, Kooperation und Koordination der Kulturinitiativen soll gefördert werden.
  • Die Freie Szene hat ein großes Gestaltungspotenzial für St. Pölten. Dieses soll verstärkt genutzt ­werden.

St. Pölten ist trotzdem (noch) keine Kulturstadt

  • Die Bevölkerung St. Pöltens und aus der Region ist nicht (ausreichend) über kulturelle Angebote informiert (oder informiert sich nicht darüber). Krems wird stärker als Kulturstadt gesehen. Wobei auch eingebracht wird, dass St. Pölten diesbezüglich aufgeholt hat. 
  • Krems war schon immer die touristische Kulturstadt – St. Pölten die Arbeiterstadt.

Leerstand aktivieren

  • In der Stadt gibt es einige leerstehende Räume. Mit einem guten Leerstandsmanagement könnten diese aktiviert werden. Künstler und Vereine könnten diese Räume zwischennutzen und sichtbar machen. Dadurch können Impulse für die weitere Entwicklung dieser Räume gesetzt werden.

Der Kulturbezirk ist von der Innenstadt ­abgetrennt

  • Der Kulturbezirk ist wenig belebt und als solcher nicht erfahrbar.
  • Die Verbindung soll verbessert werden, vor allem für die Fußgänger*innen und Radfahrer*innen.
  • Der Klangturm ist verstummt.

St. Pölten ist eine multikulturelle Stadt

  • Menschen aus über 100 Nationen und aller Weltreligionen leben in St. Pölten. In der Innenstadt ist diese kulturelle Vielfalt allerdings kaum zu finden. Wo findet kulturelle Vielfalt statt?
  • Bewusstsein, dass es viele Menschen mit Migrations-/Fluchterfahrung in St. Pölten gibt, ist kaum vorhanden und es wird nur wenig mit diesen Gruppen gearbeitet (und die Arbeit, die passiert ist meist nicht sichtbar).
  • Dieses kulturelle Potenzial soll aufgezeigt und genutzt werden. Begegnungen sollen nachhaltig gefördert werden.

KulturFORUM#1-4 © C. Fürthner

3. Das Bild & die Bühne

Der öffentliche Raum wird unzureichend ­genutzt

  • Erlebnisräume schaffen
  • Nutzbare Räume sind in den Stadtteilen genug vorhanden, es fehlen aber die Zugänglichkeit und verschiedenste Bespielungskonzepte.
  • Die Traisen zugänglich machen
  • Konsumfreie Räume und Begegnungszonen schaffen. 

Straßen zerschneiden das Stadtbild

  • Die Mariazeller Straße und die Bahnstrecke bilden große Trennlinien in St. Pölten und zerschneiden das Stadtbild und sind schwer zu Fuß oder mit dem Rad zu überqueren.

Infrastruktur für Kinder und Jugendliche fehlt

  • Spielplätze fehlen in den Stadtteilen. Die vorhandenen Spielplätze sind leer, da sie unattraktiv sind und wenig gepflegt werden. 
  • Für Kinder und Jugendliche gibt es kaum kulturell nutzbare Räume.

Radwegenetz verbessern

  • Sichere Radwege innerhalb der Stadt und in die umliegenden Orte schaffen (z.B. Waitzendorf)

Zusammenleben von Jung und Alt fördern (Projekte, Wohnbau,...)

  • »Jeder kennt jeden«-Potenzial nützen

Ideenschmiede für gesellschaftliche Problemstellungen schaffen

  • Projekte vorausdenken für Veränderungen in der Arbeitswelt und Gesellschaft
  • St. Pölten als Ideenschmiede und potenzielles Vorbild für Lösungen gesellschaftlicher Problemstellungen in ­Europa.

Dieses im Rahmen der intensiven Diskussionen gesammelte Wissen bildet die Grundlage für die weitere Erarbeitung kulturstrategischer Themen- und Handlungsfelder. 

KulturFORUM#1-3 © C. Fürthner

18. Mai 2018


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Dieser Artikel ist im KulturJOURNAL#2 (Ausgabe Mai/Juni 2018) erschienen.

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